Warum das Warten auf finanzielle Freiheit vielleicht
einfach nur mutlos ist

Na, haben Sie beim Wort "Freiheit" auch gleich an die finanzielle Freiheit gedacht? Finanzielle Freiheit ermöglicht alles, so der Zeitgeist. Sie ist der moderne Weg zur Erlösung. So oder so ähnlich erzählen es zumindest die glücklichen Blogger und Youtube-Ikonen, die es nach eigenen Aussagen schon geschafft haben. Sie versprechen, dass wir frei werden, wenn wir uns den Fesseln der Arbeit entledigen, denn dann, so der Tenor, kann jeder tun, was er will: Endlich in der Karibik in der Hän-gematte liegen und ohne Stress die Zeit verstreichen lassen.

Könnte man Freiheit als die Abwesenheit von Stress und Angst verstehen? Der Systemische Coach Henning Holst widerspricht. In seinem Berufsleben hat der Greifswalder quasi täglich mit der Angst beziehungsweise mit den Ängsten der Menschen zu tun. Er weiß, dass arme und reiche Menschen gleichermaßen unter ihr leiden. “Für Freiheit braucht man Mut - und Mut gibt es nur mit Angst. Sie sind zwei Seiten einer Medaille”, so der 57-Jährige.

In unserer Kultur sind die Menschen dennoch fest davon überzeugt, dass Arbeiten unglücklich macht und Freizeit glücklich. Wer frei ist vom Arbeiten, muss demnach glück-licher sein, lautet der populäre Mythos. Die Forschung kommt hingegen zu einem ganz anderen Ergebnis.

Mihaly Csikszentmihalyi hat seit den 1970er Jahren das Glück erforscht und entwickelte dabei die Flow-Theorie. Csikszent-mihalyi konnte zeigen, dass Personen, die eine Tätigkeit ausüben, der sie aus eigenem Antrieb nachgehen, ein cha-rakteristisches Erleben zeigen, das er <<Flow>> nennt. Sie vergessen die Zeit, sind hochkonzentriert, verschmelzen mit der Handlung aber gleichzeitig haben sie das Gefühl, dass sie den Moment und die Tätigkeit kontrollieren. Flow wird vor allem dann erlebt, wenn die handelnde Person weder unter noch überfordert ist, sondern ihren Fähigkeiten entsprechend handeln bzw. arbeiten kann. Kurz: Wenn es bei der Arbeit oder einem Hobby richtig gut läuft, dann wird man am Ende des Tages sagen, dass es ein richtig guter Tag war.

Da wir in der Regel sehr viel Zeit, ein Drittel des Tages, bei der Arbeit verbringen und dort am stärksten unsere Fähigkeiten ausleben, ist gerade bei der Arbeit für viele Menschen das befriedigende Gefühl von Flow zu erleben - und eben nicht, wenn sie in der Karibik in der Hängematte liegen oder vor dem Fernseher die nächste Netfl ix-Serie gucken. Flow hat aber auch einen psychologischen Faktor: Die Motivation steigt auch, wenn sich das Individuum in seiner sozialen Rolle wohl fühlt und dadurch das Gefühl verstärkt wird, etwas Bedeutendes zu tun. Gerade am Arbeitsplatz kann das die Rolle im Team oder das Ausleben einer Führungsposition sein. Glück ist also ein Gefühl, das mit persönlicher Leistung und einer sozialen Rolle einhergeht. Und der Arbeitsplatz ist besonders gut geeignet, um dieses Glück in Form von Flow zu erleben. Das ist zumindest der Forschungs-stand. Wer hätte das gedacht?